Marokko

Es war einmal……Der Jemaa el Fna in Marrakesch

Wer diesen Platz am Morgen überquert, wird vergeblich das Besondere dieser vermutlich größten Open Air Bühne der Welt suchen. Dem Auge werden nur ein paar zu Verkaufsläden umfunktionierte kleine Wagen der Orangensaftpresser sowie Datteln- Mandeln- Pistazien Verkäufer geboten. Erst allmählich erscheinen ein paar Händler und Akteure mit ihren zerschlissenen Teppichen und Matten, ihren Sonnenschirmen. Ein Gebiß Anbieter schlichtet Zahnprothesen auf seinem Tischchen, eine Wahrsagerin legt Karten, ein paar Eselgespanne trotten über den Platz. Schlangenbeschwörer, Gnauamusiker ( das ist eine andere Geschichte) und Wasserträger sondieren zahlungswilliges Publikum.

Nachmittags kommen die Touristengruppen anmarschiert und gegen 16h, 17h wird der ganze Jemaa el Fna zur Herdplatte. Nach Einbruch der Dunkelheit ist das Living Theatre in vollem Betrieb: Musikgruppen, Geschichtenerzähler, Koranleser, junge Männer als Frauen verkleidet, die mit paillettenbestickten Schleiern  Bauchtänze vorführe, zwei Boxer auf die Wetten abgeschlossen werden, Kartentrickspieler. Jeder dieser Akteure ist umgeben von halquas, kreisförmigen Zuschauergruppen.

Es sind oder besser gesagt waren die Geschichtenerzähler, die den Platz zu etwas Einzigartigen machen, dem Gefahr von Handel und Verkehr droht. Die Verkäufsstände fressen sich immer tiefer in den Platz hinein und der Lärm der Mopeds überdröhnt die Stimmen der Geschichtenerzähler.

Der Platz ist seit 2001 auf der UNESCO Liste der „Meisterwerke des mündlichen und immateriellen Kulturerbes der Menschheit.“ Einer, der dazu den Anstoß gab, war der Schriftsteller Juan Goytisolo, der damals in Marrakesch wohnte und vor allem von den Geschichtenerzählern und der oralen Kultur fasziniert war.“ Wir können annehmen, dass die primäre Oralität eine Tradition von 50.000 Jahren hat, während die Schrift nur 5.000 Jahre alt ist.“ Diese Geringschätzung der mündlichen Tradition beruht auf einer verzerrten Interpretation von Kultur und Bildung. Juan Goytisolo:“ Es gibt Menschen, die Analphabeten aber trotzdem sehr gebildet sind. Sie kennen ihre Tradition. Diese Menschen gibt es überall auf der Welt. Eine Schulbildung ist etwas ganz anderes. Man wird ausgebildet, um sich im Leben zu verteidigen,um weiterzukommen usw,, das kann man nicht vergleichen. Aber es gibt da eine Art Verachtung der Gebildeten gegenüber den Analphabeten, obwohl diese wie gesagt sehr wohl gebildet sind.“ Die Erzähler vom Jemaa el Fna konnten weder lesen noch schreiben und hatten doch tausend Geschichten im Kopf, die sie Wort für Wort im Gedächtnis behielten, wie etwa die Geschichte vom Fischer und dem Dschinni( eine Art Geistwesen). „Es ist mir zu Ohren gekommen, dass es einmal einen alten betagten Fischer gab.“ So beginnt die Geschichte vom Fischer und dem Dschinni. Dieser Fischer hat eine Frau und drei Töchter. Er ist fleißig und arbeitsam. Aber obwohl er täglich mehrmals seine Netze auswirft, fangt er wenig und kann sich und seine Familie kaum ernähren. Eines Tages finden sich im Netz nicht einmal mehr Fische sondern Gegenstände, darunter eine Messingflasche von gelber Farbe. Der Fischer öffnet die Flasche und sieht wie ein gewaltige Rauchsäule aus der Flasche in die Höhe steigt und sich dann ineinen bösen Geist, einen Ifrit oder Dschinn verwandelt. Es handelt sich noch dazu um einen undankbaren Geist, denn statt dem Fischer für die Rettung zu danken, erklärt er seinem Befreier, dass er ihn töten werde. Nachdem der Fischer eine Weile nachgedacht hat, wie er diesem Todesurteil entkommen könnte, sagt er zu dem Dschinn: „Beim allermächtigsten Namen, warst du wirklich in dieser Flasche?“ Der Dschinn bestätigt das. Nein, das will der Fischer nicht glauben, denn die Flasche ist ja nicht einmal groß genug für die Hände des Dschinn. Der Geist ärgert sich und will dem Fischer beweisen, dass er sehr wohl in der Flasche war. Er wird zu Rauch und schlüpft langsam in die Flasche. Da nimmt der Fischer den Verschluß, drückt diesen schnell auf die Öffnung und wirft die Flasche weit hinaus ins Meer.

Die Erzählkunst gilt im Maghreb als magische Handlung. Zuhören und Erzählen gehörten immer schon zum Leben der Berber, der Ureinwohner Marokkos. Während heute am Jemaa el Fna nur Männer Geschichten erzählen, lag die Erzählkultur von Anfang an in den Händen der Frauen. Geschichten waren die Wiegenlieder der Berberkinder.

Die Geschichtenerzähler leben, wie alle anderen Darsteller des Jemaa el Fna, von den paar Münzen, die sie von Touristen und ihren Landsleuten bekommen. Aber die EinwohnerInnen von Marrakesch haben nicht viel zu verteilen. Die großen Stars der Geschichtenerzähler sind inzwischen gestorben  oder in einem sehr hohen Alter, der Nachwuchs hält sich in Grenzen, obwohl in den Schulen Wettbewerbe für junge Geschichtenerzähle abgehalten werden. Wann wird sie zu Ende gehen die Geschichte aus tausendundeiner Nacht ?

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