Ein Sonntag Nachmittag

Short Story

„Ein guter Schuss“. Ich lächle Georg an, was mir nicht schwer fällt, denn er verschüttet gerade etwas Sekt beim Eingießen in die mundgeblasene, handgeschliffene Champagnerflöte. Georg verachtet ungeschickte Menschen oder besser gesagt ungeschickte Frauen. Sind sie noch dazu über fünfzig erscheinen diese in seinem Weltbild ausschließlich als Hologramme. „Ich vermisse die Bemerkung, dass Förster besser zielen können müssten. Was ist los mit Dir? Du bist in letzter Zeit so unberechenbar freundlich“. „Wenn wir älteren Schabracken, wie Du uns zu nennen pflegst, ein Anrecht auf Weiterleben haben wollen, dann bleibt uns nur mehr Liebenswürdigkeit“. Ich schaukle in Philippe Starcks Saint Ethic Rocking Chair im Haus meines schon seit Jahrzehnten ungeliebten Schwagers. Jetzt muss ich mich entscheiden. Die Hand ausstrecken und das Sektglas nehmen oder warten bis Georg und sein Bekannter in der Sauna verschwinden. Georg fällt es manchmal nicht leicht, seine Vorbehalte gegen mich zu tarnen. Er hält mich als Frau für eine Versagerin, die keine Männer halten kann. Damit hat er nicht unrecht, vorausgesetzt man akzeptiert herkömmliche Maßstäbe. Mein Beziehung zu Edward bezeichnet er-wie originell von jemanden, der noch nie in der Wüste war- als Fata Morgana. Zugeben muss ich, dass er sich mit Luftspiegelungen auskennt, nämlich aus einem Nichts heiße Luft zu machen. Als erfolgreicher Geschäftsmann, der landwirtschaftliche Güter von Kirche und Adel verwaltet, ist Georg bestrebt, sich nicht mit glücklosen Existenzen zu umgeben, aus Angst davor, das Virus könnte überspringen. Andererseits zeigt er sich gerne familienbewusst, das schafft in der Geschäftswelt Vertrauen. Daher lädt er mich seit meiner Rückkehr jeden Sonntag zur den sonntäglichen Wellness Hour ein, die für Geschäftsfreunde vorgesehen sind. Der Nachmittag hat die Grundzüge eines Rituals: Gerti bereitet finger food vor, Lachsbrötchen mit Creme Gervais, Schinkenkipferl, Thunfisch Tramezinis. Die Herren frequentieren Sauna und Dampfkammer sowie harte oder weniger harte Getränke. Die Frauen plaudern, was auch immer das heißen mag. Damit Gerti und Georg keine Schwierigkeiten machen, erscheine ich zumeist pflichtgemäß, außerdem habe ich sowieso nichts Besseres zu tun. Ich hasse Sonntage, habe sie schon immer gehasst. Bis heute bekomme ich Beklemmungen bei Sonntagnachmittags Spaziergängen. Außerdem folgt auf jeden Sonntag ein Montag, dafür alleine gehört der Sonntag massakriert. Ich liebe Freitage und Samstage. Da steht mir die ganze Welt offen, daran glaube ich bis heute obwohl ich schon seit über fünfzehn Jahren nicht mehr an fixen Montagssitzungen teilnehmen muss. Dieses Gefühl der immerwährenden Freiheit hielt damals bis Sonntags um circa fünfzehn Uhr an. Danach setzte die Montags Phobie ein, zu Beginn fast unmerklich in Form von leichter Nervosität, gegen zwanzig Uhr erreichte sie ihren Höhepunkt, erkennbar an akuten Aggressionsanwandlungen, die anschließend in Resignation oder Panik übergingen. Ich verstehe bis heute nicht wie jemand am Sonntagabend irgendetwas Sinnvolles, Vernünftiges unternehmen kann. Hat man je erlebt, dass ein zum Tode Verurteilter seinen letzten Abend in der Disko verbringen will. Montags begannen Routine, Kampf, Stress, die Ingredienzien des üblichen Arbeitslebens. Ich tröstete mich mit dem baldigen Ablaufdatum. Das kam schneller als erwartet. Nachdem es nun wirklich keinen Qualitätssprung bedeutet, Sonntagnachmittags die TV Kanäle zu plündern, nehme ich regelmäßig an der Wellness Hour teil. Abgesehen davon liebe ich Gertis Thunfisch Tramezinis und was auch immer gegen Georg gesagt werden kann, er ist ein großzügiger Gastgeber, der sich bei Getränken auskennt. Heinrich stampft heran. Ein Single. Seit sechs Monaten. Seine Frau hat sich beim letzten Karibik Segeltörn in einen dreiundzwanzigjährigen Jamaikaner verliebt und versucht sich nun auf dieser Insel im Tourismusgeschäft. Mein Gott ich werde doch nicht auch so enden. Edward liebst Du mich? Unser heutiger Gast ist ein attraktiver Endvierziger, vielleicht ein bisschen schweinsäugig, aber dafür entschädigt der kleine kompakte Hintern. Ich merke an meinem oft unnötigen und leicht dümmlichen Lachen bei absolut nichts sagenden Pointen, dass ich bei ihm gut ankommen möchte. Warum eigentlich, was erwarte ich von diesem eindeutigen Beweis für meine vorauseilende Unterwürfigkeit. Ich entschließe mich, die Finger nicht nach dem Rotweinglas auszustrecken, sondern meine Hände hinter die langen, breiten Ärmeln meines flamingofarbenen Waffelpikee Bademantels zu ziehen. Eine Bewegung wie eine Katze, wenn diese ihre Krallen zurückfährt. Bei mir geht es darum, die perlengroßen Altersflecke auf dem rechten Handrücken sowie die braunen Spots auf der linken Hand aus dem Licht des Poolbereichs zu bringen. Die Sauna wäre da gnädiger noch besser das Dampfbad. Die Frage ist nur wie komme ich in Sauna oder Dampfbad hinein beziehungsweise aus beiden heraus ohne dass jemand meine zu fetten Hüften, die Cellulitis am linken Oberschenkel, die aufkeimende Krampfader am rechten Bein und den freigelegten Busen sieht, der mit jenem von Marilyn Monroe nicht die geringste Gemeinsamkeit hat. Also bleibe ich in meinem Waffelpikee Bademantel, der darunter einen raffinierten schwarzen Einteiler zeigt, bei Gerti am Tisch sitzen. Während die Herren sich zum Aufguss bereitmachen, degustiere ich den Rioja und lasse einen Film ablaufen: Heinrich und Ich. Erste Einstellung: Der grüne Jaguar hält vor meiner Haustüre. Heinrichs Hand auf meinem Kinn. Er dreht mein Gesicht zu sich und sagt: Nein, er sagt nicht „Schau mir in die Augen Kleines“. Er stößt mit rauer Stimme hervor: „Ich will Dich wieder sehen.“ Schnitt. Zweite Einstellung: Ein weißes Tischtuch im grünen Gras. Zwei halbvolle Champagnergläser, Baguette, Wildschweinpaté, Oliven, Camembert. Heinrich greift verlegen nach meiner Hand, küsst andächtig die Innenfläche. Schnitt. Dritte Einstellung. Sein bewundernder fast ein wenig hündisch ergebener Blick. Ich lächle, meine Zunge leckt über die rot geschminkten Lippen, ein sinnlicher eruptiver Vulkan. Schnitt: Vierte Einstellung. Wir wälzen uns lustvoll zwischen blühenden Ginster und Lavendel Sträuchern. Er „ Du bist wunderbar, ich habe noch nie so eine Frau wie Dich getroffen, bleibe bei mir“. Ich streiche ihm gütig über das, zugegebenermaßen schon schütter werdende, Haar. „Ein Glas 80 Kalorien, zwei Gläser 160 “. Gertis Feldwebelton stoppt mein Home movie abrupt. „Du trinkst zu viel“ schnarrt es weiter. „Und was kümmert es Dich“ pfauche ich. „Du beklagst Dich ja immer über Dein Gewicht. Mir kann es egal sein, ich muss ja die Wülste nicht tragen“. Sie streichelt über ihren magersüchtigen Waschbrettbauch. Die hochgezogenen Augenbrauen signalisieren Verachtung Stufe drei. „Wie findest Du Heinrich?“. „Nicht extrem bemerkenswert“. Und weil ich am Glitzern ihrer Augen bemerke, dass er ihr zu gefallen scheint, setze ich noch hinzu: „Mir ist er zu klein“. „Ich glaube, Georg betrügt mich“. „Mit wem denn, vielleicht mit einem Habicht. Der steckt doch Tag und Nacht im Wald, bei Geschäftsbesprechungen oder in seinem Club“. Ich kann mir einiges vorstellen aber nicht einen vögelnden Georg. Wie soll das gehen bei dem Bauch und dem Alkoholkonsum. Aber wenn Gerti sich eine Idee in den Kopf gesetzt hat, macht es wenig Sinn, etwas dagegen zu sagen, außerdem stehen Georg und Heinrich fast schon vor unserem Tisch. Ich nehme noch schnell einen großen Schluck und lächle Heinrich an. Während Georg eine weitere Flasche Rioja Jahrgang 1985 holt, mache ich Konversation mit Heinrich, der die Angewohnheit zu haben scheint, seinen Gesprächspartner nicht direkt anzusehen. Sein Blick geht in die Ferne, nur in gewissen rhythmischen Abständen, wie das Licht eines Leuchtturms, streift er über mich. Mit dem rechten Zeigefinger stochert er im Ohr. Ich merke nun, dass seine Nasenhaare buschig aus den Höhlen hervordrängen und die dünnen Lippchen die Außengrenzen eines eher kleinen Mundes sind. Dazu kommt sein Manager Gelaber über irgendwelche Eisenstangen, die sein Unternehmen erzeugt. Es gibt kaum eine bessere Methode in der Feldforschung der Männerbeobachtung als sie nach ihrem Beruf zu fragen. Die meisten verlieren während ihres nicht endend wollenden Selbstgesprächs jedes Zeitgefühl. Heinrich darf in diese Kohorte eingereiht werden. Wieso kommt er eigentlich nicht auf die Idee, mich nach meinem Beruf zu fragen. Gerti klettert grazil die Pooltreppe herauf. Jetzt richten sich Heinrichs Augen in Richtung Waschbrettbauch. Ich zwinkere erfreut Georg zu, der mit zwei Rioja Flaschen angewatschelt kommt. Wie halten älter werdende, teilweise allein stehende, verlassene Frauen eigentlich das Leben ohne Rotwein aus. Ich hole meine pigmentierte Hand aus dem flamingofarbenen Bademantel und mit einer sehr langsamen Bewegung strecke ich mein leeres Glas Georg entgegen. Welch eine Geste des Selbstbewusstseins. Leider geht sie ein wenig unter, denn Jovana betritt den Wellness Bereich. Freier Bauch, der eine Haut wie Milch und Honig zeigt, im Nabel ein Glitzerstein. Das Top, in der Farbe einer gespieenen Erbsensuppe, würde jede andere Frau zum Gespenst machen, betont aber in Jovanas Fall die großen grünen Augen. Sie ist Gertis Reinigungs-Coach und hilft aus, wenn Gäste eingeladen werden. Heinrichs Augen haben nun einen Fixpunkt gefunden. Georg stellt vor: „Jovana unser Goldstück aus Polen. Nicht nur bezaubernd sondern auch klug. Sie besucht hier das Musik Konservatorium“. „Darf die junge Lady mit uns ein Glas trinken“ flötet Heinrich und Georg, der erfreut ist, seinem Gast etwas Besonders bieten zu können, bittet Jovana, doch ein paar Minuten Platz zu nehmen. Heinrich stellt Fragen. Aha, das kann er also doch: welches Instrument sie studiert, ob ihre Familie in Polen lebt. Er kennt sich dort aus, sein Unternehmen liefert Stahlkonstruktionen, ein aufstrebendes Land mit schönen, jungen selbstbewussten Frauen. Jovana lächelt. Sie sieht aus wie eine etwas gequetschte aber immerhin Madonna, noch dazu eine junge. Glatte frische Haut weder glänzend vor Fett noch spröde vor altersbedingter Trockenheit. Junge Haut eben. Dazu strahlend weiße Zähne und diese liebenswürdige Unbekümmertheit aller jungen Schönen. Heinrich überreicht Jovana seine Visitenkarte, Georg öffnet eine Flasche, Gerti ist verschwunden. Ich beschließe, schwimmen zu gehen. Es besteht derzeit absolut keine Gefahr, dass irgendjemand die Krampfadern am rechten Unterschenkel beachtet. Das lauwarme, licht durchflutete Wasser liebkost meinen Körper. Immer wenn ich an den Beckenrand stoße, fällt mein Blick auf ein Bild, das ich Georg und Gerti von Martinique mitgebracht habe. Eine braunhäutige nackte Frau mit vollen Brüsten und geschwungenen Hüften liegt seitlich gestützt auf ihrem Ellbogen umgeben von Orchideen, Lilien und Palmen. In der Armbeuge hält sie einen Korb mit Mangos, Bananen, Guaven, Mandarinen. Wie gerne wäre ich diese Frau gewesen. Jede Zelle angefüllt mit Schönheit, Freude, Lust, bereit für eine ausschweifende Nacht und die leidenschaftlichen Hände ihres Liebhabers. Meine Nächte, so ich sie nicht mit Edward verbringe, sehen so aus: Antipigmentfleckencreme in die Hände einmassieren, darüber weiße Handschuhe, damit die Creme gut über Nacht einwirkt. Auf Wangen und Stirn kommen lifting Serum und Rosenölcreme, in die Mund- und Augenecken Frownies „Hollywoods Beauty Secret for over 1oo Years“. Danach schnalle ich die blauen Apparate gegen den Hallux an, um die große Zehe von der zweiten Zehe weg zu halten, wo sie sich aus unerklärlichen Gründen immer wieder hin krümmt. Das ist der Vorteil des Lebens einer Prekariats Geliebten, in einer Beziehung könnte ich nie so ins Bett gehen. Fortsetzung folgt am nächsten Morgen. Trotz täglichen Abrubbelns, Bürstens und Eincremens zeigt sich schon wieder eine neue Cellulitis Delle am Oberschenkel. Frische rote Äderchen kündigen sich an. Die Supervision ergibt: verstärkter Einsatz von Rosskastanie und Weinlaubsalben, keine kurzen Röcke mehr, Auftrittsverbot auf öffentlichen Stränden und in Bädern. Vielleicht haben es die Musliminnen doch nicht so schlecht getroffen. Ich beginne, den Reiz der wallenden Badekostüme zu verstehen, das hat schon was, allein was ich dabei an Straffungscremen einsparen könnte. Dazu das Kopftuch, um dem dreieinhalbstündigen vierwöchigen Friseurtermin zwecks Färben des Nachwuchses zu entkommen. Welch wohlige Entspannung nicht endlos den sich abzeichnenden Verfall bekämpfen zu müssen. Plötzlich eine Bewegung im Wasser. Georg hat die Gegenschwimmanlage eingeschaltet, um Heinrich zu imponieren. Ich schwimme, rudere mit den Armen und kann mich gerade noch am Platz halten. Nach einigen Minuten gebe ich auf und bin schon von der Mitte zum Poolrand getrieben worden. Ich schlucke Wasser, bekomme einen Hustenanfall, der sich in quäkendes Lachen auflöst. Wieder mal Geld und Zeit gespart. Erkenntnisse über die“ wahre Natur aller Dinge“ müssen nicht in kostspieligen Third Age Coaching Seminaren oder langjährigen Zazen ersessen werden. Hier im Swingpool meines mir nicht liebgewordenen Schwagers erfahre ich eine tiefgründige Erleuchtung: was ist mein konstantes Bemühen, den Alterungsprozess hinauszuschieben anderes als dieser verzweifelte, hilflose und viel zu anstrengende Versuch, sich gegenüber Georgs Gegenschwimmanlage zu behaupten. Der Sog lässt nach. Georg hat abgedreht, denn Heinrich interessiert sich sowieso nur für Jovana und nicht für die Pooltechnik. Ich liege, Arme und Beine ausgestreckt, im Wasser am Rücken. Toter Mann, tote Frau nannten wir als Kinder dieses Spiel. Wer sich am längsten regungslos vom Wasser tragen lassen konnte, hatte gewonnen. Damals ein lustiges Spiel. Heute in absehbarer Zeit Realität und nur mäßig unterhaltsam. Aber noch bin ich nicht untergegangen trotz meiner sechs Kilo Übergewicht. Ein Sonntag Nachmittag „Ein guter Schuss“. Ich lächle Georg an, was mir nicht schwer fällt, denn er verschüttet gerade etwas Sekt beim Eingießen in die mundgeblasene, handgeschliffene Champagnerflöte. Georg verachtet ungeschickte Menschen oder besser gesagt ungeschickte Frauen. Sind sie noch dazu über fünfzig erscheinen diese in seinem Weltbild ausschließlich als Hologramme. „Ich vermisse die Bemerkung, dass Förster besser zielen können müssten. Was ist los mit Dir? Du bist in letzter Zeit so unberechenbar freundlich“. „Wenn wir älteren Schabracken, wie Du uns zu nennen pflegst, ein Anrecht auf Weiterleben haben wollen, dann bleibt uns nur mehr Liebenswürdigkeit“. Ich schaukle in Philippe Starcks Saint Ethic Rocking Chair im Haus meines schon seit Jahrzehnten ungeliebten Schwagers. Jetzt muss ich mich entscheiden. Die Hand ausstrecken und das Sektglas nehmen oder warten bis Georg und sein Bekannter in der Sauna verschwinden. Georg fällt es manchmal nicht leicht, seine Vorbehalte gegen mich zu tarnen. Er hält mich als Frau für eine Versagerin, die keine Männer halten kann. Damit hat er nicht unrecht, vorausgesetzt man akzeptiert herkömmliche Maßstäbe. Mein Beziehung zu Edward bezeichnet er-wie originell von jemanden, der noch nie in der Wüste war- als Fata Morgana. Zugeben muss ich, dass er sich mit Luftspiegelungen auskennt, nämlich aus einem Nichts heiße Luft zu machen. Als erfolgreicher Geschäftsmann, der landwirtschaftliche Güter von Kirche und Adel verwaltet, ist Georg bestrebt, sich nicht mit glücklosen Existenzen zu umgeben, aus Angst davor, das Virus könnte überspringen. Andererseits zeigt er sich gerne familienbewusst, das schafft in der Geschäftswelt Vertrauen. Daher lädt er mich seit meiner Rückkehr jeden Sonntag zur den sonntäglichen Wellness Hour ein, die für Geschäftsfreunde vorgesehen sind. Der Nachmittag hat die Grundzüge eines Rituals: Gerti bereitet finger food vor, Lachsbrötchen mit Creme Gervais, Schinkenkipferl, Thunfisch Tramezinis. Die Herren frequentieren Sauna und Dampfkammer sowie harte oder weniger harte Getränke. Die Frauen plaudern, was auch immer das heißen mag. Damit Gerti und Georg keine Schwierigkeiten machen, erscheine ich zumeist pflichtgemäß, außerdem habe ich sowieso nichts Besseres zu tun. Ich hasse Sonntage, habe sie schon immer gehasst. Bis heute bekomme ich Beklemmungen bei Sonntagnachmittags Spaziergängen. Außerdem folgt auf jeden Sonntag ein Montag, dafür alleine gehört der Sonntag massakriert. Ich liebe Freitage und Samstage. Da steht mir die ganze Welt offen, daran glaube ich bis heute obwohl ich schon seit über fünfzehn Jahren nicht mehr an fixen Montagssitzungen teilnehmen muss. Dieses Gefühl der immerwährenden Freiheit hielt damals bis Sonntags um circa fünfzehn Uhr an. Danach setzte die Montags Phobie ein, zu Beginn fast unmerklich in Form von leichter Nervosität, gegen zwanzig Uhr erreichte sie ihren Höhepunkt, erkennbar an akuten Aggressionsanwandlungen, die anschließend in Resignation oder Panik übergingen. Ich verstehe bis heute nicht wie jemand am Sonntagabend irgendetwas Sinnvolles, Vernünftiges unternehmen kann. Hat man je erlebt, dass ein zum Tode Verurteilter seinen letzten Abend in der Disko verbringen will. Montags begannen Routine, Kampf, Stress, die Ingredienzien des üblichen Arbeitslebens. Ich tröstete mich mit dem baldigen Ablaufdatum. Das kam schneller als erwartet. Nachdem es nun wirklich keinen Qualitätssprung bedeutet, Sonntagnachmittags die TV Kanäle zu plündern, nehme ich regelmäßig an der Wellness Hour teil. Abgesehen davon liebe ich Gertis Thunfisch Tramezinis und was auch immer gegen Georg gesagt werden kann, er ist ein großzügiger Gastgeber, der sich bei Getränken auskennt. Heinrich stampft heran. Ein Single. Seit sechs Monaten. Seine Frau hat sich beim letzten Karibik Segeltörn in einen dreiundzwanzigjährigen Jamaikaner verliebt und versucht sich nun auf dieser Insel im Tourismusgeschäft. Mein Gott ich werde doch nicht auch so enden. Edward liebst Du mich? Unser heutiger Gast ist ein attraktiver Endvierziger, vielleicht ein bisschen schweinsäugig, aber dafür entschädigt der kleine kompakte Hintern. Ich merke an meinem oft unnötigen und leicht dümmlichen Lachen bei absolut nichts sagenden Pointen, dass ich bei ihm gut ankommen möchte. Warum eigentlich, was erwarte ich von diesem eindeutigen Beweis für meine vorauseilende Unterwürfigkeit. Ich entschließe mich, die Finger nicht nach dem Rotweinglas auszustrecken, sondern meine Hände hinter die langen, breiten Ärmeln meines flamingofarbenen Waffelpikee Bademantels zu ziehen. Eine Bewegung wie eine Katze, wenn diese ihre Krallen zurückfährt. Bei mir geht es darum, die perlengroßen Altersflecke auf dem rechten Handrücken sowie die braunen Spots auf der linken Hand aus dem Licht des Poolbereichs zu bringen. Die Sauna wäre da gnädiger noch besser das Dampfbad. Die Frage ist nur wie komme ich in Sauna oder Dampfbad hinein beziehungsweise aus beiden heraus ohne dass jemand meine zu fetten Hüften, die Cellulitis am linken Oberschenkel, die aufkeimende Krampfader am rechten Bein und den freigelegten Busen sieht, der mit jenem von Marilyn Monroe nicht die geringste Gemeinsamkeit hat. Also bleibe ich in meinem Waffelpikee Bademantel, der darunter einen raffinierten schwarzen Einteiler zeigt, bei Gerti am Tisch sitzen. Während die Herren sich zum Aufguss bereitmachen, degustiere ich den Rioja und lasse einen Film ablaufen: Heinrich und Ich. Erste Einstellung: Der grüne Jaguar hält vor meiner Haustüre. Heinrichs Hand auf meinem Kinn. Er dreht mein Gesicht zu sich und sagt: Nein, er sagt nicht „Schau mir in die Augen Kleines“. Er stößt mit rauer Stimme hervor: „Ich will Dich wieder sehen.“ Schnitt. Zweite Einstellung: Ein weißes Tischtuch im grünen Gras. Zwei halbvolle Champagnergläser, Baguette, Wildschweinpaté, Oliven, Camembert. Heinrich greift verlegen nach meiner Hand, küsst andächtig die Innenfläche. Schnitt. Dritte Einstellung. Sein bewundernder fast ein wenig hündisch ergebener Blick. Ich lächle, meine Zunge leckt über die rot geschminkten Lippen, ein sinnlicher eruptiver Vulkan. Schnitt: Vierte Einstellung. Wir wälzen uns lustvoll zwischen blühenden Ginster und Lavendel Sträuchern. Er „ Du bist wunderbar, ich habe noch nie so eine Frau wie Dich getroffen, bleibe bei mir“. Ich streiche ihm gütig über das, zugegebenermaßen schon schütter werdende, Haar. „Ein Glas 80 Kalorien, zwei Gläser 160 “. Gertis Feldwebelton stoppt mein Home movie abrupt. „Du trinkst zu viel“ schnarrt es weiter. „Und was kümmert es Dich“ pfauche ich. „Du beklagst Dich ja immer über Dein Gewicht. Mir kann es egal sein, ich muss ja die Wülste nicht tragen“. Sie streichelt über ihren magersüchtigen Waschbrettbauch. Die hochgezogenen Augenbrauen signalisieren Verachtung Stufe drei. „Wie findest Du Heinrich?“. „Nicht extrem bemerkenswert“. Und weil ich am Glitzern ihrer Augen bemerke, dass er ihr zu gefallen scheint, setze ich noch hinzu: „Mir ist er zu klein“. „Ich glaube, Georg betrügt mich“. „Mit wem denn, vielleicht mit einem Habicht. Der steckt doch Tag und Nacht im Wald, bei Geschäftsbesprechungen oder in seinem Club“. Ich kann mir einiges vorstellen aber nicht einen vögelnden Georg. Wie soll das gehen bei dem Bauch und dem Alkoholkonsum. Aber wenn Gerti sich eine Idee in den Kopf gesetzt hat, macht es wenig Sinn, etwas dagegen zu sagen, außerdem stehen Georg und Heinrich fast schon vor unserem Tisch. Ich nehme noch schnell einen großen Schluck und lächle Heinrich an. Während Georg eine weitere Flasche Rioja Jahrgang 1985 holt, mache ich Konversation mit Heinrich, der die Angewohnheit zu haben scheint, seinen Gesprächspartner nicht direkt anzusehen. Sein Blick geht in die Ferne, nur in gewissen rhythmischen Abständen, wie das Licht eines Leuchtturms, streift er über mich. Mit dem rechten Zeigefinger stochert er im Ohr. Ich merke nun, dass seine Nasenhaare buschig aus den Höhlen hervordrängen und die dünnen Lippchen die Außengrenzen eines eher kleinen Mundes sind. Dazu kommt sein Manager Gelaber über irgendwelche Eisenstangen, die sein Unternehmen erzeugt. Es gibt kaum eine bessere Methode in der Feldforschung der Männerbeobachtung als sie nach ihrem Beruf zu fragen. Die meisten verlieren während ihres nicht endend wollenden Selbstgesprächs jedes Zeitgefühl. Heinrich darf in diese Kohorte eingereiht werden. Wieso kommt er eigentlich nicht auf die Idee, mich nach meinem Beruf zu fragen. Gerti klettert grazil die Pooltreppe herauf. Jetzt richten sich Heinrichs Augen in Richtung Waschbrettbauch. Ich zwinkere erfreut Georg zu, der mit zwei Rioja Flaschen angewatschelt kommt. Wie halten älter werdende, teilweise allein stehende, verlassene Frauen eigentlich das Leben ohne Rotwein aus. Ich hole meine pigmentierte Hand aus dem flamingofarbenen Bademantel und mit einer sehr langsamen Bewegung strecke ich mein leeres Glas Georg entgegen. Welch eine Geste des Selbstbewusstseins. Leider geht sie ein wenig unter, denn Jovana betritt den Wellness Bereich. Freier Bauch, der eine Haut wie Milch und Honig zeigt, im Nabel ein Glitzerstein. Das Top, in der Farbe einer gespieenen Erbsensuppe, würde jede andere Frau zum Gespenst machen, betont aber in Jovanas Fall die großen grünen Augen. Sie ist Gertis Reinigungs-Coach und hilft aus, wenn Gäste eingeladen werden. Heinrichs Augen haben nun einen Fixpunkt gefunden. Georg stellt vor: „Jovana unser Goldstück aus Polen. Nicht nur bezaubernd sondern auch klug. Sie besucht hier das Musik Konservatorium“. „Darf die junge Lady mit uns ein Glas trinken“ flötet Heinrich und Georg, der erfreut ist, seinem Gast etwas Besonders bieten zu können, bittet Jovana, doch ein paar Minuten Platz zu nehmen. Heinrich stellt Fragen. Aha, das kann er also doch: welches Instrument sie studiert, ob ihre Familie in Polen lebt. Er kennt sich dort aus, sein Unternehmen liefert Stahlkonstruktionen, ein aufstrebendes Land mit schönen, jungen selbstbewussten Frauen. Jovana lächelt. Sie sieht aus wie eine etwas gequetschte aber immerhin Madonna, noch dazu eine junge. Glatte frische Haut weder glänzend vor Fett noch spröde vor altersbedingter Trockenheit. Junge Haut eben. Dazu strahlend weiße Zähne und diese liebenswürdige Unbekümmertheit aller jungen Schönen. Heinrich überreicht Jovana seine Visitenkarte, Georg öffnet eine Flasche, Gerti ist verschwunden. Ich beschließe, schwimmen zu gehen. Es besteht derzeit absolut keine Gefahr, dass irgendjemand die Krampfadern am rechten Unterschenkel beachtet. Das lauwarme, licht durchflutete Wasser liebkost meinen Körper. Immer wenn ich an den Beckenrand stoße, fällt mein Blick auf ein Bild, das ich Georg und Gerti von Martinique mitgebracht habe. Eine braunhäutige nackte Frau mit vollen Brüsten und geschwungenen Hüften liegt seitlich gestützt auf ihrem Ellbogen umgeben von Orchideen, Lilien und Palmen. In der Armbeuge hält sie einen Korb mit Mangos, Bananen, Guaven, Mandarinen. Wie gerne wäre ich diese Frau gewesen. Jede Zelle angefüllt mit Schönheit, Freude, Lust, bereit für eine ausschweifende Nacht und die leidenschaftlichen Hände ihres Liebhabers. Meine Nächte, so ich sie nicht mit Edward verbringe, sehen so aus: Antipigmentfleckencreme in die Hände einmassieren, darüber weiße Handschuhe, damit die Creme gut über Nacht einwirkt. Auf Wangen und Stirn kommen lifting Serum und Rosenölcreme, in die Mund- und Augenecken Frownies „Hollywoods Beauty Secret for over 1oo Years“. Danach schnalle ich die blauen Apparate gegen den Hallux an, um die große Zehe von der zweiten Zehe weg zu halten, wo sie sich aus unerklärlichen Gründen immer wieder hin krümmt. Das ist der Vorteil des Lebens einer Prekariats Geliebten, in einer Beziehung könnte ich nie so ins Bett gehen. Fortsetzung folgt am nächsten Morgen. Trotz täglichen Abrubbelns, Bürstens und Eincremens zeigt sich schon wieder eine neue Cellulitis Delle am Oberschenkel. Frische rote Äderchen kündigen sich an. Die Supervision ergibt: verstärkter Einsatz von Rosskastanie und Weinlaubsalben, keine kurzen Röcke mehr, Auftrittsverbot auf öffentlichen Stränden und in Bädern. Vielleicht haben es die Musliminnen doch nicht so schlecht getroffen. Ich beginne, den Reiz der wallenden Badekostüme zu verstehen, das hat schon was, allein was ich dabei an Straffungscremen einsparen könnte. Dazu das Kopftuch, um dem dreieinhalbstündigen vierwöchigen Friseurtermin zwecks Färben des Nachwuchses zu entkommen. Welch wohlige Entspannung nicht endlos den sich abzeichnenden Verfall bekämpfen zu müssen. Plötzlich eine Bewegung im Wasser. Georg hat die Gegenschwimmanlage eingeschaltet, um Heinrich zu imponieren. Ich schwimme, rudere mit den Armen und kann mich gerade noch am Platz halten. Nach einigen Minuten gebe ich auf und bin schon von der Mitte zum Poolrand getrieben worden. Ich schlucke Wasser, bekomme einen Hustenanfall, der sich in quäkendes Lachen auflöst. Wieder mal Geld und Zeit gespart. Erkenntnisse über die“ wahre Natur aller Dinge“ müssen nicht in kostspieligen Third Age Coaching Seminaren oder langjährigen Zazen ersessen werden. Hier im Swingpool meines mir nicht liebgewordenen Schwagers erfahre ich eine tiefgründige Erleuchtung: was ist mein konstantes Bemühen, den Alterungsprozess hinauszuschieben anderes als dieser verzweifelte, hilflose und viel zu anstrengende Versuch, sich gegenüber Georgs Gegenschwimmanlage zu behaupten. Der Sog lässt nach. Georg hat abgedreht, denn Heinrich interessiert sich sowieso nur für Jovana und nicht für die Pooltechnik. Ich liege, Arme und Beine ausgestreckt, im Wasser am Rücken. Toter Mann, tote Frau nannten wir als Kinder dieses Spiel. Wer sich am längsten regungslos vom Wasser tragen lassen konnte, hatte gewonnen. Damals ein lustiges Spiel. Heute in absehbarer Zeit Realität und nur mäßig unterhaltsam. Aber noch bin ich nicht untergegangen trotz meiner sechs Kilo Übergewicht.